Die Inaugural – Dissertation zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde an den medizinischen Fachbereichen der Freien Universität Berlin trägt den Titel:
„Zur Auswirkung hypertoner Kochsalzlösung auf den
konvektiven Sauerstofftransport und die Gewebeoxygenierung bei
Patienten im hyperdynamen septischen Schock“
Vom Dekan, Herrn Prof. Dr. med. Peter Gaethgens, ist die Urkunde
(cum laude) am 29. März 1996 verliehen worden.
Einleitung (Auszug)
Mit einer Letalität von 30-40% ist der septische Schock noch immer eine der häufigsten Todesursachen bei Intensivpatienten [71,79,84,133,138]. Der Patient im septischen Schock stirbt heute typischerweise nicht mehr in der akuten Schockphase, die mit den Mitteln der modernen Intensivtherapie meist gut therapierbar ist, sondern nach einer Reihe von Tagen bis Wochen an einem therapeutisch nicht mehr beeinflußbaren sequentiellen Versagen der Organsysteme, dem „Multiorganversagen“ [31,91].
Als eine der wesentlichen Ursachen dieses Multiorganversagens wird die Störung der Gewebeoxygenierung, die einen peripheren Sauerstoffmangel mit Hypoxie zur Folge hat, angenommen [27,40,112,120].
Die Gewebeoxygenierung ist beim septischen Schock folgendermaßen gestört :
Der konvektive Sauerstofftransport zum Gewebe ist durch Hypovolämie reduziert. Diese Hypovolämie ist einerseits bedingt durch eine Vasodilatation aufgrund einer durch freigesetzte Mediatoren veränderten Ansprechbarkeit der Adrenozeptoren und ihrer nachgeordneten Effektorsysteme für Katecholamine. Andererseits verursachen die aktivierten Mediatoren eine Zunahme der Gefäßpermeabilität, die zur Extravasation von Flüssigkeit („capillary leakage“) führt [52,99,102]. Die Freisetzung eines „Myocard Depressant Factor“ (MDF) ist nachgewiesen. Dieser setzt die kardiale Leistung durch negativ inotrope Wirkung herab [100]. Durch die Vasodilatation kommt es ferner zur Maldistribution des Herzzeitvolumens, d.h. die regelhafte Verteilung des Herzminutenvolumens zwischen den Organsystemen ist gestört [75]. Im Bereich des mikrozirkulatorischen Blutflusses kommt es, ebenfalls durch die aktivierten Mediatoren, zu einer Zunahme örtlicher und zeitlicher Perfusionsinhomogenitäten mit Störungen des nutritiven Blutflusses und konsekutiver Hypoxie. Die Mediatorenfreisetzung führt zur Leukozytenadhäsion an das Kapillarendothel, aus der eine Vielzahl komplexer biochemischer Reaktionen resultiert, die zu Endothelzellschwellung, Mikrothrombenbildung und interstitiellem Ödem führen [28,120].
Daraus folgt, daß die adäquate Therapie der Sepsis in der Unterstützung des Herz-Kreislauf-Systems mit der Erzeugung eines hyperdynamen Kreislaufes mit einem über der Norm liegenden globalen Sauerstoffangebot besteht, um eine Kompensation der Störungen der Gewebeoxygenierung zu erreichen [43,44,119,120,121]. Hinsichtlich dieses therapeutischen Ansatzes erscheint die Zufuhr hypertoner Kochsalzlösung (HTS) aufgrund ihres spezifischen Wirkungsprofils auf die verschiedenen Kreislaufabschnitte besonders geeignet.
Eine Veröffentlichung hierzu:
Lutz Hannemann, Konrad Reinhart, Ralf Korell,
Claudia Spies, and Donald L. Bredle (1996): Hypertonic
Saline in Stabilized Hyperdynamic Sepsis. Shock: Volume 5, Number
1 (130) February 1996
Zusammenfassung
Das Krankheitsbild des septischen Schocks mit konsekutivem, sequentiellen Organversagen ist die häufigste Todesursache beim Intensivpatienten. Als eine der wesentlichen Ursachen für die hohe Letalität wird die durch aktivierte endogene Mediatoren verursachte Störung der Gewebeoxygenierung mit nachfolgender Gewebehypoxie angesehen. Die Zufuhr kleiner Volumina von 7,2-7,5% hypertoner Kochsalzlösung (HTS) („small volume resuscitation“) in der Kombination mit hyperonkotischen Lösungen hat sich zur zügigen Stabilisierung von Hämodynamik und Sauerstofftransport beim hämorrhagischen Schock bewährt. Die spezifischen Wirkungen von HTS führen zu einer Verbesserung der Gewebeoxygenierung durch Zunahme des intravasalen Volumens mit nachfolgender Erhöhung der Vorlast, Senkung der kardialen Nachlast durch Vasodilatation sowie Reduktion des Endothelzell- und interstitiellen Ödems im Bereich der Mikrozirkulation. Deshalb wurde prospektiv untersucht, ob bei Patienten mit septischem Schock durch die Zufuhr von 2-4 ml/kg KG 7,5% hypertoner Kochsalzlösung (2400 mOsmol/l) in 6% Hydroxyethylstärke eine Verbesserung der Gewebeoxygenierung anhand einer Zunahme des globalen O2-Verbrauches (VO2) nach Steigerung des O2-Angebotes (DO2) nachweisbar ist. Es wurden 21 Patienten mit postoperativ aufgetretenem septischen Schock sowie in einer Vergleichsgruppe 20 Patienten mit kardiorespiratorischer Insuffizienz untersucht.
Das DO2 steigt bei den Patienten mit septischem Schock um 14%. Dies geht jedoch nur mit einem Anstieg des aus dem Herzindex und der arterio-gemischtvenösen O2-Gehaltsdifferenz bestimmten O2-Verbrauches (CVO2) von 7% (p
Pathologisch erhöhte Blutlaktatspiegel gelten als Beweis für das Vorliegen einer Gewebe-O2-Schuld. Bei den 8 Patienten mit septischem Schock, die erhöhte Blutlaktatspiegel aufwiesen, ändert sich trotz des signifikanten Anstieges des DO2 der mittels metabolischem Meßplatz bestimmte MVO2 nicht. Es wird die Schlußfolgerung gezogen, daß bei diesen Patienten metabolische Störungen auf zellulärer Ebene die Hyperlaktatämie verursacht haben können.
Bei der Beurteilung der hier ermittelten Parameter des konvektiven Sauerstofftransportes ist einschränkend zu sagen, daß es sich um globale, das heißt den Gesamtorganismus betreffende Parameter handelt, die sich aus dem Verhältnis von DO2 zu VO2 aller Teilkreisläufe ergeben. Der Sauerstofftransport zum Gewebe ist aber nicht identisch mit der Gewebeoxygenierung. Diese hängt in großem Maße auch von der regionalen Verteilung des Herzminutenvolumens zwischen den Organen und von dem nutritiven Blutfluß auf der Ebene der Organparenchyme ab. Deshalb ist das Vorliegen einer regionalen Sauerstoffschuld in relevanten Teilkreisläufen bei ausschließlicher Betrachtung von Globalparametern nicht sicher auszuschließen. Über die Beeinflussung der regionalen Gewebeoxygenierung durch HTS kann aus der vorliegenden Untersuchung keine Aussage gemacht werden.
Auffällig ist die zeitlich begrenzte Dauer der Wirkungen von HTS, obwohl die Substanz mit einer kolloidalen Lösung kombiniert wurde. Bereits 60 Minuten nach Infusion der Lösung ist der Anstieg des Herzindexes nicht mehr signifikant von der Ausgangsmessung zu unterscheiden, das gleiche gilt für die sauerstofftransportbezogenen Parameter.
Der Anstieg des Serum-Natriums hat sich 24 Stunden nach Applikation der Lösung vollständig zurückgebildet. Die Zufuhr von HTS/HAES wurde von allen Patienten ohne erkennbare relevante Nebenwirkungen toleriert. Allerdings verbieten die Natriumbelastung und der Anstieg der Osmolalität eine frequente Anwendung. Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist der akute Anstieg des intravasalen Volumens mit akut auftretenden Anstiegen der rechts- und linksventrikulären Füllungsdrücke. Dies kann insbesondere bei präexistenter Isovolämie, zusammen mit der möglichen Abnahme der kardialen Compliance, zu einer akuten Volumenüberlastung beitragen. Der Abfall des PaO2 30 Minuten nach Zufuhr von HTS kann in diesem Sinn gedeutet werden.
Zusammenfassend wird die Schlußfolgerung gezogen, daß bei der Therapie des septischen Schocks die Verhinderung einer peripheren Sauerstoffschuld durch die Induktion eines hyperdynamen Kreislaufes zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein wesentlicher Aspekt der symptomatischen Behandlung ist. Durch diesen Therapieansatz scheint bei den hier untersuchten Patienten im septischen Schock eine globale Sauerstoffschuld verhindert worden zu sein. Zur möglichen Beeinflussung der regionalen Gewebeoxygenierung kann keine Aussage gemacht werden. Der Einsatz von HTS/HAES könnte aufgrund des spezifischen Wirkungsprofiles zum zügigen Volumenersatz in der Frühphase des hypovolämischen septischen Schocks von Nutzen sein.
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